Nura ist auf der Suche. Eigentlich schon ihr Leben lang. „Für mich bedeutet das nichts Negatives“,
sagt sie selbst. „Im Gegenteil: Es heißt für mich, nicht stillzustehen und sich immer eiterzuentwickeln.
Manchmal habe ich in der Vergangenheit vielleicht gedacht, dass ich schon angekommen bin – aber
dann war ich froh, dass ich mich nicht zufriedengegeben habe, sondern weitergegangen bin.“
Ein Unterfangen, das sich gelohnt hat. Nura erhielt Gold- und Platinauszeichnungen für ihre Songs,
dazu ausverkaufte Touren, 2018 außerdem noch vor der Veröffentlichung ihres Solodebüts „habibi“
die Einslive Krone als beste Künstlerin. Im letzten Jahr landete ihre Autobiografie „Weißt du, was ich
meine?“, die von ihrer Kindheit als Geflüchtete aus Kuwait in Wuppertal, der Stadt Berlin und ihrem
bisherigen Weg in der Männerdomäne „Musikindustrie“ erzählt, auf der Spiegel-Bestseller-Liste – und
derzeit ist sie in der Vox-Show „Sing meinen Song“ zu sehen.
Neben diesen beeindruckenden Erfolgen ist Nura dabei vor allem eines gelungen: Sie hat sich ein
Selbstverständnis als Künstlerin erarbeitet, das in der hiesigen Musiklandschaft seinesgleichen sucht:
Als laute Stimme gegen Ungerechtigkeit, Rassismus und Sexismus - und als einfühlsamer Mensch,
der eben nicht nur Party- Tracks kann, sondern in seiner Musik offen über psychische Gesundheit und
politische Themen spricht. Auch auf ihrem zweiten Soloalbum, das den Titel „Auf der Suche“ trägt.
„Auf der Suche“ ist kein Album, das den Zeigefinger hebt oder sich durchweg eine politische Agenda
auf die Fahnen schreibt. Wer Nura kennt, der weiß um ihre Fähigkeit, all diese wichtigen Themen mit
Humor und Augenzwinkern zu versehen, die auf ganz natürliche Art und Weise in ihre Songwriting
einfließen zu lassen und selbst einen Turn-Up-Song mit Botschaft zu versehen. Genau das tut sie
mehr denn je.
Denn Nuras Blick auf Deutschland und die Welt verändert sich: Der Terroranschlag in Hanau, die
Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA, Black
Lives Matter, all der Hass, die Hetze und die Gewalt auf dieser Welt - gegen Frauen, BIPoC, queere
Menschen und alles, was vermeintlich anders als die Norm sein soll. Nura reagiert darauf mit Wut,
Trauer und Unverständnis. Denn all das richtet sich auch gegen sie und ihre Familie, ihre Freunde und
ihre Community.
„All das hat mir gezeigt, dass ich in meiner Musik noch viel mehr Themen als sonst aufgreifen will.
Inhalte und Botschaften, für die ich mich auch sonst auf Social Meida schon stark mache.“ Aus genau
diesen Gedanken entsteht der Song „Fair“. „Sag mir, was ist fair?“ fragt Nura im Refrain immer
wieder, während sie in den Strophen all das aufzählt, was schiefläuft – der Alltagsrassismus, die
Nazis im Landtag, der immer gleiche Sexismus und all die blinden Flecken für die Missstände unserer
Gesellschaft und die Doppelmoral im Umgang damit.
„Als der Song stand, ging alles wie von selbst“, erinnert sich Nura. „Die darin angesprochenen
Themen haben sich von da an wie ein roter Faden durch das Album gezogen.“ Und so entstehen
Songs wie „Lola“, mit dem Nura einer im Rap zumeist aus männlicher Perspektive erzählten und nicht
selten degradierenden Abbildung von Sexarbeit eine empowernde, feministische Sichtweise
entgegensetzt. Im intimen Future-R&B-Soundgewand gelingt Nura eine gleichermaßen sinnliche und offene, vor allem aber selbstbewusste Auseinandersetzung mit Sex und Lust in einer Zeit, in der
selbst Nähe und Liebe schon lange zu Waren geworden sind.
„Mama sagt Leute haben was erzählt und ich sollt’ mich dafür schämen“ erinnert sich Nura im
wütenden Trap-Banger „Ich war’s nicht“ an Maßreglungen für jugendlichen Eskapismus – und liefert
eine Aufarbeitung davon, wie starre gesellschaftliche Konventionen einem aufrichtigen Ausleben des
eigenen Selbst schon im Jugendalter im Weg stehen und nachhaltig prägen, wie verunsichern können
– und zeigt so, wie ihre Musik weit über Ästhetik, messbare Erfolge und Rekorde hinaus essenziell ist.
Mit „Wichsen ist Mord“ bestellen Nura und Alli Neumann schöne Grüße in Richtung erzkonservativer
Religionsinstitutionen und erklären zu pumpenden Funk-Beats noch mal en detail, warum der
männliche Masturbationsvorgang genau einem Massaker gleicht, während „Alles was du willst“ mit
2-Step-Taktung und bouncenden Bässen ein gefühlvoller R&B-Retro-Jam über Sehnsüchte, die leider
nicht auf Gegenseitigkeit beruhen. Und dann ist da noch „Beledi“: Ein ruhiger, reifer und reflektierter
Blick auf das was war und das, was ist - und ein rührendes Dankeschön an die Familie.
Mit dem Drill-Monster „F* wieder da“ begegnet Nura abseits von hypermaskulinen Narrativen und
der verkrampften Darstellung des eigenen Luxus der Rap-Welt mit Stil und entzieht sich eitlen
Machtkämpfen. Ganz ähnlich „Hier oben“, ein Song, mit dem Nura die Szene und ihr inhaltloses
Phrasengedresche und neoliberales Geflexe mal eben im Vorbeigehen Hops nimmt – und genau
damit zeigt, dass sie einem Großteil der Kolleg*innen einen elementaren HipHop-Wert voraus hat:
Ihre Realness. Genau das macht „Auf der Suche“ zu einem so besonderen Album: Musikalisch, aber
auch meinungsstark und mutig, provokant und ebenso poppig, klar in seiner Haltung und doch
kunstvoll – eben genau wie Nura selbst.